Nachrichten aus den USA: Wann regt sich (mehr) Widerstand in den Staaten?
Dieser Tage habe ich in einem Post auf Mastodon aus einem Interview mit Anne Applebaum im ZDF heute-journal zitiert. Unter anderem sagt die Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und Autorin der lesenswerten Analyse „Die Achse der Autokraten“: „Wir müssen einfach abwarten – wir müssen hoffen, dass das Gerichtssystem anspringt und funktioniert.“
Nur ‚abwarten‘ und auf die Gerichte hoffen?
Mein Reaktion darauf: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir sollten alle hoffen, dass die Judikative funktioniert, auch wenn Trump sie (wie auch die Pressefreiheit) aushebeln will. Mein ehemaliger Kollege Peter hat daraufhin geantwortet, dass er es schon überraschend fand: „die Frau, die das Entstehen von Autokratien erforscht, hat auf konkrete Fragen von Frau Slomka nur: ‚abwarten‘.“ Das sei unbefriedigend und doch eigentlich eher eine deutsche Eigenschaft. Meine Antwort an Peter: Es zeigt sich, wie ratlos und in Schockstarre die demokratischen Kräfte, sogar eine Anne Applebaum, sind. Und das nach 53 Tagen, die Trump im Amt und Würden ist.
Auch betont Applebaum in dem Interview mit dem heute-journal ausdrücklich, dass die USA trotz dieser Entwicklungen immer noch eine Demokratie seien: „Wir haben immer noch Redefreiheit. Wir haben immer noch Rechte. Wir haben immer noch eine legale Opposition.“
Immer noch (zu) hohe Zustimmungswerte für Trump
Viele von uns in Europa schauen in die USA und wundern uns, dass wir so wenig Widerstand* gegen Trump wahrnehmen. Und machen wir uns ehrlich: Die Zustimmungswerte für Trump sinken zwar, aber es ist noch nicht so dramatisch, wie man denken oder hoffen könnte. Noch immer liegt er mindestens in den oberen 40 Prozent Zustimmung. Die amerikanische Gesellschaft ist weiterhin tief in der Mitte gespalten.
Gut. Es gibt Berichte über die Proteste vor Tesla-Showrooms gegen Elon Musk, bei denen Menschen fordern, Tesla zu einer „toxischen Marke“ zu machen. Ihr Ziel: Musk durch wirtschaftlichen Druck zum Einlenken zu zwingen. Die Proteste richten sich gegen Musks politische Verbindungen und seine Rolle bei Entlassungen in den USA, so Capital.
Gute Freunde von uns haben ich glaube 2017 ihren Tesla gekauft. Unterdessen prangt dieser Aufkleber am Heck. Den habe ich noch an keinem anderen Fahrzeug gesehen, obwohl der Aufkleber zeitweise ausverkauft war. Vielen geht das, was Murks treibt, wohl einfach am Bobbes vorbei
Na ja, immerhin brechen die Verkaufszahlen auch in Deutschland drastisch ein. Wenigstens etwas.
Nachdem der Kurs der Tesla-Aktie signifikant eingebrochen ist, meldet sich natürlich der Musk-Buddy Donald Trump zu Wort und inszeniert eine Verkaufsshow vor dem Weißen Haus. Ein roter Tesla vor dem Weißen Haus, darin Trump und Musk und Trumps Aussage „Ich liebe Tesla“. Es scheint in den USA nichts zu geben, was es nicht gibt. Merz oder Scholz vor dem Bundestag im Mercedes, BMW oder VW? Scheint bei uns undenkbar. Vielleicht Weidel im Tesla.
Digitalwirtschaft und andere im Kniefall
Große Teile der Wirtschaft, gerade auch der Digitalwirtschaft, scheinen auf jeden Fall auf Trump-Kurs zu sein oder halten einfach die Klappe: „Geschwiegen wird aus Angst – und weil es um Geld geht,“ heißt es in Eva Wolfangels Bericht für die Zeit von der South by Southwest SXSW 2025, der wohl renommiertesten amerikanischen Tech-Konferenz. Auch in Austin scheint es, als ob niemand kritisch über Trump oder Musk spricht.
Philipp Alvares de Souza Soares und Felix Holtermann zitieren in ihrem Bericht im Handelsblatt Scott Galloway, der von einem „Feigheits-Domino“ der Konzerne spricht, die Profite über Ethik stellen. Eine Amy Webb vermeidet den Namen Elon Musk auf der #SXSW25 und nennt ihn nur “er, dessen Name nicht genannt werden darf”. Das einst progressive Tech-Festival habe sich dem konservativen Zeitgeist gefügt, aus Furcht vor wirtschaftlichen Nachteilen, so die Autoren. Die Branche laufe aus Angst „wie auf Eierschalen“, so wird ein IT-Manager anonym zitiert. Immerhin zeigte zumindest die Demokratin Elizabeth Warren wohl auf der #SXSW25 Kante.
Wo bleiben die Proteste der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner?
Dass die Konzerne aus Profitsucht spüren, hätten viele vermutet. Doch hätte ich erwartet, dass die Proteste der Demokraten, vieler Amerikanerinnen und Amerikaner wesentlich lauter, stärker und vernehmbarer sein würden. Zumindest kommt diesbezüglich nicht sehr viel in meinen Newsfeeds an. Und ich verfolge ja durchaus sehr interessiert das Geschehen in den USA, da ich mich mit zahlreichen Freunden und Bekannten dort sehr verbunden fühle.
Fragezeichen in meinen Augen und Fragen an euch bezüglich eurer Einschätzungen. Ich freue mich über Kommentare und Anmerkungen:
- Handeln die US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner mit einer souveränen Gelassenheit oder leben sie nach dem kölschen Motto Et hätt noch emmer joot jejange?
- Oder braucht es einfach mehr Zeit, bis sich die Bürgerinnen und Bürger dort wehren? Nur, was ist bis dahin alles kaputtgemacht worden?
- Welchen Einfluss könnte eine potenzielle Rezession, eine Trumpcession, haben, fallende Aktienkurse, die die Rentensicherung vieler auffressen, und steigende Lebenshaltungskosten für normale Amerikanerinnen und Amerikaner?
- Wann regt sich in den USA endlich (mehr) Widerstand gegen Trump, Musk und die MAGA-Bewegung? Ich weiß von Freunden an einer Uni in Kalifornien, dass man nachdenkt, was man tun könnte?
- Wer leistet (endlich) Widerstand? Was ist mit den gerade aus dem öffentlichen Dienst Entlassenen? Welche Arten und Formen von Widerstand haben überhaupt Aussicht auf Erfolg?
- Wie widerstandsfähig sind die Richter und die Judikative, auf die beispielsweise Anne Applebaum zählt?
- Wie wird die Trump-Administration auf Protest mit welchen Mitteln reagieren? Welche Maßnahmen wäre sie bereit zu ergreifen, und muss man das „einfach“ riskieren? Auch die Gewaltbereitschaft seiner „Fans“ könnte Sorgen bereiten.
* Ich weiß sehr genau, dass wir Deutschen nicht Helden des Widerstands sind. Nehmen wir mal den Protest für die deutsche Einheit in der ehemaligen DDR aus. Leider ist nur der Zug dort auch in andere Richtung gefahren. Hoffentlich dreht der sich nochmals.
Dieses KI-generierte Titelbild habe ich von ideogram.ai erstellen lassen. Den Prompt seht Ihr unten. Ich habe mich aber dan ndoch für die einfache zerrissene US-amerikanische Fahne entschieden.
Prompt: A photo of a Keith Haring-style artwork with symbolic figures from American history. There are silhouettes of Donald Trump and Elon Musk in a dark, abstract background. Barack Obama and former president Jimmy Carter are depicted in bright, lively colors. A medicine man with a buffalo skull is dancing between them. A split flag is waving above them. In the foreground, there are signs with text like „Justice“ and „Democracy“.